Die Rauschbeere (Vaccinium uliginosum), auch Trunkelbeere, Moorbeere oder Nebelbeere, ist ein Strauch aus der Gattung der Heidelbeeren.
Die Rauschbeere wächst als Halbstrauch oder Zwergstrauch, mit einer Wuchshöhe bis 60, ausnahmsweise bis 80 Zentimeter[1], ganz selten sogar bis 100 Zentimeter.[2] Die Triebe sind aufrecht, bei der in höheren Lagen verbreiteten Unterart pubescens sind sie niederliegend und aufsteigend.[3] Sie bildet unterirdische Kriechtriebe (Rhizome) aus. Junge Zweige verfärben sich rasch bräunlich, sie sind stielrund (nicht grün und kantig bis geflügelt wie bei der Heidelbeere). Sie sind jung fein behaart bis kahl. Die sommergrünen, kurz gestielten, kahlen Laubblätter erreichen 6-25 (ausnahmsweise bis 35) Millimeter Länge und 4-12 (ausnahmsweise bis 20) Millimeter Breite[2], sie sind eiförmig[1] oder verkehrteiförmig[2], am Apex meist abgestumpft, ganzrandig, oft mit knorpelig verdicktem oder etwas nach unten eingerolltem Blattrand. Sie sind auffallend netzadrig.[2][3] Auf der Oberseite sind sie bläulichgrün gefärbt, die Unterseite ist heller graugrün[1] (und daran leicht von den frischgrünen Blättern der Heidelbeere unterscheidbar). Die Zwergsträucher sind sympodial verzweigt, die Endknospe bildet Blüten aus, das vegetative Wachstum wird durch Seitenknospen fortgesetzt.[2]
Die Wurzeln der Rauschbeere bilden mit verschiedenen Pilzen eine Mykorrhiza, zum Beispiel mit Cryptosporiopsis ericae, Oidiodendron maius, Lachnum sp., Sordariomycetes und Pleosporales[4] Die Chromosomenzahl beträgt je nach Unterart 2n = 24 bzw. 48.[5]
Die Rauschbeere blüht in Süddeutschland im Mai, im Norden, etwa in Großbritannien, reicht die Blüte bis in den Juni. Die Blüten stehen in traubigen kleinen Blütenständen zu zweien oder dreien, sie sind etwa 3 bis 10 Millimeter lang gestielt, der Stiel damit bei der typischen Unterart länger als die Blüte, bei der Unterart pubescens ist der Blütenstiel nur 1 bis 3 Millimeter lang und damit kürzer als die Krone.[3] Die relativ kleinen Blüten sind weißlich bis rosafarben und hängend.[1] Die krugförmige, verwachsene Blütenkrone ist im Umriss länglich eiförmig, mit sehr kurzen, rückgeschlagenen Kronzipfeln. Die vier bis fünf Kelchzipfel sind dreieckig und abgestumpft, der Kelch bis zur Fruchtreife bleibend.
Die Beeren ähneln denen der wild wachsenden Heidel- bzw. Blaubeere, sind jedoch bereift, mit 6 bis 8 Millimeter[1], ausnahmsweise bis 10 Millimeter[2] Länge größer als diese und etwa eiförmig. Sie reifen im Spätsommer, sind außen blau, haben aber innen helles „Fruchtfleisch“ und hellen Saft im Gegensatz zur Heidelbeere, die violettes „Fruchtfleisch“ hat und auch violetten Saft[6] führt.
Als Inhaltsstoffe der Rauschbeere werden angegeben: Anthocyane (Glycoside von Anthocyanidinen), bei Vaccinium-Arten oft als „Anthocyanoside“ bezeichnet, darunter als Hauptbestandteile Malvidin-3-O-Glucosid und Delphinidin-3-O-Glucosid und Delphinidin-3-O-Arabinosid (als blaue Farbstoffe wirkend), Flavonole wie Myricetin und Quercetin und davon abgeleitete Verbindungen sowie als organische Säure freie und veresterte Benzoesäure.[7] Die wiederholte Chromatographie des gefriergetrockneten Extrakts der Beeren führte zur Isolierung von elf Verbindungen, darunter ein Anthocyan, sechs Flavonoide, zwei Phenylpropanoide und zwei Iridoide. Die Isolate wurden als Cyanidin-3-O-β-D-Glucopyranosid, Quercetin, Hyperosid (Quercetin-3-O-β-D-Galactopyranosid), Quercetin-3-O-α-L-Arabinopyranosid, Myricetin, Myrizetin-3-O-β-D-Galaktopyranosid, Syringetin-3-O-β-D-Galaktopyranosid, Methylchlorogenat, Chlorogensäure, Logansäure und 6,7-Dihydromonotropeinmethylester (Splendosid) identifiziert.[8] Untersuchungen an Populationen in Finnland konnten weitere Inhaltsstoffe nachweisen. Vier Anthocyanidin-Xyloside und 14 Flavonol-Glykoside und 25 wichtige Flavonoide wurden dabei identifiziert. Die Durchschnittswerte ( ± Standardabweichung) der Gehalte an Anthocyanen und Flavonolen betrugen 1425 ± 398 bzw. 1133 ± 290 mg pro 100 g Trockengewicht. Das am häufigsten vorkommende Anthocyanidin war Malvidin, gefolgt von Delphinidin, Petunidin, Cyanidin und Peonidin. Quercetin war das wichtigste Flavonol, gefolgt von Myricetin, Laricitrin, Syringetin und Isorhamnetin.[9] Untersuchungen aus anderen Gebieten kamen zu ähnlichen Ergebnissen.[10]
Die auch als Rote Heidelbeeren, Steinbeeren oder Sumpfheidelbeeren bekannten Beeren der Rauschbeere könnten psychotrope Substanzen enthalten,[11] deren Identität noch nicht bestimmt werden konnte.[12] Nach dem Verzehr von Früchten wurden gelegentlich Vergiftungserscheinungen[11] – wie rauschartige Erregung, Erbrechen, Pupillenerweiterung und Schwindelgefühl – beobachtet. So berichtet ein Beobachter, nach Verzehr größerer Mengen im Selbstversuch, von Schwindel und Sehstörungen.[13] Andere Beobachter berichten, auch nach dem Verzehr von größeren Mengen, von keinerlei Giftwirkung.[14] Die Beeren werden daher meist als „giftverdächtig“ geführt[15][16], vom Verzehr wird abgeraten.
Intoxikationen sind ggf. nur nach dem Verzehr großer Mengen möglich. Verantwortlich dafür ist wahrscheinlich der auf den Beeren schmarotzende Schlauchpilz Monilinia megalospora (früher auch Sclerotina megalospora)[11][12], da in den Beeren selbst keine giftig oder psychoaktiv wirkenden Substanzen gefunden werden konnten. Volksetymologisch wird der Name der Rauschbeere auf den angeblich zu beobachtenden Rauschzustand bezogen.
Die Rauschbeere ist zirkumpolar verbreitet[2] und wächst in Waldmooren und Hochmooren mit feuchtem, torfhaltigem Boden. Im regenreichen westlichen Skandinavien kommt sie verbreitet vor und verdrängt dort teilweise die Blaubeere. In mittel- und südeuropäischen Gebirgen findet man sie zuweilen bis in Höhenlagen von 3080 Metern,[2] in den Allgäuer Alpen bis über 2000 m[17], in den Nordtiroler Zentralalpen bis über 2600 m.[18] Sie ist eine Vaccinio-Piceetea-Klassencharakterart, kommt aber auch in Gesellschaften der Klasse Ocycocco-Sphagnetea oder des Verbands Genistion vor.[5]
Die Erstbeschreibung von Vaccinium uliginosum erfolgte durch Carl von Linné. Das Artepitheton uliginosum bezieht sich auf den Wuchsort und heißt „sumpfliebend“.
Man unterscheidet in Europa oft zwei Unterarten:
Detailuntersuchungen auf morphologischer und genetischer Basis von Pflanzen aus den Alpen und deren Vorland ergaben zwei genetisch getrennte Sippen: Eine diploide Sippe, die nur in höheren Lagen der Zentralalpen vorkam, und eine weit verbreitete tetraploide Sippe, der alle Individuen aus tieferen Lagen und aus den nördlichen Kalkalpen angehören; beide können am selben Standort nebeneinander wachsen. Eine morphologische Unterscheidung dieser Sippen erwies sich zunächst als unmöglich.[20] Spätere Untersuchungen ergaben keine Hinweise auf rezente Hybriden zwischen beiden Sippen. Eine morphologische Unterscheidung anhand von Blattmerkmalen war nicht möglich, anhand von Blütenmerkmalen konnten die meisten Individuen zugeordnet werden. Wichtigstes Einzelmerkmal war dabei die Breite der Blütenkrone (diploide meist 2,54 bis 3,19 mm, tetraploide meist 3,28 bis 4,25 mm).[21]
Weitere, zum Teil hexaploide Sippen werden aus dem nördlichen Ostasien und aus Japan angegeben.
Die Beeren werden weniger gepflückt als jene der Heidelbeere, ihr Geschmack wird als fad süßlich[16], im Geschmack der Heidelbeere unterlegen[15] beschrieben. Wegen des ungeklärten Giftverdachts wird meist von der Verwendung und dem Verzehr abgeraten.
Die Rauschbeere wurde in der Volksheilkunde, ähnlich wie die Heidelbeere, bei Magen- und Darmkatarrh, bei Durchfall und Blasenleiden, verwendet.[7] Ein Nachweis der Wirksamkeit wurde nicht erbracht.
Die Ableitung des Namens von Rausch aufgrund einer möglichen berauschenden Wirkung der Beeren gilt heute als unwahrscheinlich. Möglich wäre eine frühere Verwendung für alkoholische Getränke ähnlich dem Heidelbeerwein. Wahrscheinlicher ist eine Ableitung vom mittelhochdeutschen Wort rusch: Binse, es wäre also eine nach dem nassen Standort benannte „Binsen-Beere“.[22] Zu beachten ist aber, dass mit „Rausch“ oder „Rusch“ vor der heutigen wissenschaftlichen Systematisierung zahlreiche andere beerentragende Sträucher bezeichnet werden konnten, sehr oft etwa die Krähenbeere[23], daneben zahlreiche andere wie Preiselbeere, Bärentraube, Gagelstrauch und andere.[24]
Die Rauschbeere (Vaccinium uliginosum), auch Trunkelbeere, Moorbeere oder Nebelbeere, ist ein Strauch aus der Gattung der Heidelbeeren.